Barrierefreie Festivals: Inklusion in der deutschen Musikszene
Jazz-Festivals

Barrierefreie Festivals: Inklusion in der deutschen Musikszene

In Deutschland wird Inklusion auf Musikfestivals glücklicherweise immer wichtiger. Viele Veranstalter setzen sich aktiv dafür ein, Musikevents für Menschen mit und ohne Behinderungen zugänglich zu machen. Auch wenn noch nicht alle Festivals vollständig barrierefrei sind, bewegt sich die deutsche Musikszene in eine inklusive Richtung – damit ‘Musik für alle’ keine leere Phrase bleibt, sondern gelebte Realität wird.

Warum Barrierefreiheit auf Festivals so wichtig ist

Bereits seit 2009 ist in der UN-Behindertenrechtskonvention das Recht auf kulturelle Teilhabe für Menschen mit Behinderung verankert. Lange Zeit spielte dieses Thema in der deutschen Musikszene, besonders auf Festivals, eine eher untergeordnete Rolle. Doch seit Deutschland die Konvention ratifiziert hat, hat sich viel getan. Heute leben in Deutschland etwa 13,5 Millionen Menschen mit Beeinträchtigungen, davon 7,8 Millionen mit Schwerbehinderung. Der Deutsche Musikrat betont die Wichtigkeit ihrer gleichberechtigten Teilhabe am Musikleben.

Vorreiter und Projekte für mehr Barrierefreiheit

Zahlreiche Initiativen engagieren sich dafür, Festivals barrierefreier zu gestalten. Ein herausragendes Beispiel ist die Initiative “Inklusion muss laut sein”, gegründet von Ron Paustian. Als Rollstuhlfahrer stieß Ron bei Konzerten immer wieder auf Barrieren und beschloss, aktiv zu werden. Seine Initiative bringt Musikfans mit und ohne Behinderung zusammen – ein zentraler Bestandteil ist das ‘BUDDIE’-Konzept: Ehrenamtliche Begleitpersonen, die Menschen mit Behinderung bei Konzerten und Festivals unterstützen. Die Malteser berichten ausführlich über diese Initiative.

Das ‘BUDDIE’-Konzept: Mehr als nur Begleitung

Es geht darum, Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenzubringen. Ob Metal-Fan oder Kunstliebhaber – die ‘BUDDIES’ unterstützen bei der Mobilität, Orientierung und alltäglichen Herausforderungen. Für Menschen mit komplexeren Bedürfnissen gibt es die ‘Assistenz-BUDDIES’, die über spezielle Erfahrung verfügen. Viele Veranstalter in Deutschland bieten Begleitpersonen sogar freien Eintritt an, was die Teilnahme erheblich erleichtert und ein wichtiges Zeichen für Inklusion setzt.

Beratung für Veranstalter: Barrierefreiheit als Standard

Neben der Vermittlung von Begleitern berät “Inklusion muss laut sein” auch Veranstalter in Fragen der Barrierefreiheit. Ron Paustian unterstützt Eventorganisatoren ehrenamtlich bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen. Ein aktuelles Großprojekt der Initiative ist die barrierefreie Gestaltung von über 180 Veranstaltungsclubs in Hamburg – ein ambitioniertes Vorhaben, das als Modell für weitere Städte in Deutschland dienen soll.

Umsetzung von Barrierefreiheit auf deutschen Festivals

Viele Festivals in Deutschland haben bereits erhebliche Fortschritte gemacht, um barrierefreier zu werden. Einige Rockfestivals installieren Rampen und Podeste für Rollstuhlfahrer, um ihnen eine bessere Sicht auf die Bühnen zu ermöglichen. Das Wacken Open Air, bei dem 2018 ein ‘Wheelchair Crowdsurfer’ zum Symbol für Inklusion auf Festivals wurde, ist ein bekanntes Beispiel, wie miz.org berichtet. Aber auch andere Festivals, wie das Summer Breeze, engagieren sich vorbildlich für Festivalgäste mit Behinderungen.

Summer Breeze: Ein Leuchtturmprojekt für Inklusion

Das Summer Breeze Festival in Dinkelsbühl, Bayern, kann als Vorreiter in Sachen Inklusion in Deutschland bezeichnet werden. Es bietet Freikarten für Begleitpersonen, behindertengerechte Toiletten und ein Podest vor den Bühnen, um allen Besuchern eine optimale Sicht zu gewährleisten. Ein speziell ausgewiesener barrierefreier Campingplatz ist ebenfalls vorhanden, wie das Festival auf seiner Webseite bekannt gibt. Zusätzlich gibt es einen Rollstuhlservice für Reparaturen, ein Medical Center und einen Infopoint. Der barrierefreie Campingplatz zeichnet sich durch Stromanschlüsse und kurze Wege aus.

Weitere inklusive Festivals in Deutschland

Neben dem Summer Breeze gibt es weitere Festivals, die sich aktiv für Barrierefreiheit einsetzen.

NO LIMITS Festival in Berlin

Das NO LIMITS Festival in Berlin bietet beispielsweise ‘Relaxed Performances’, ‘Early Boarding’, Audiodeskriptionen, Gebärdensprachübersetzung und ‘Access Friends’, die Besuchern mit Rat und Tat zur Seite stehen, wie auf der Webseite des Festivals nachzulesen ist.

‘Relaxed Performances’: Entspannung für alle

Diese Vorstellungen finden in einer entspannten Atmosphäre statt. Geräusche und Bewegungen im Publikum sind ausdrücklich erlaubt, und Besucher können den Raum jederzeit verlassen und wieder betreten. Dies ist besonders für Menschen mit sensorischen Sensibilitäten oder Lernschwierigkeiten eine große Erleichterung.

‘Early Boarding’: Stressfreier Einlass

‘Early Boarding’ ermöglicht Menschen mit sensorischen oder motorischen Einschränkungen, bereits vor dem regulären Einlass in den Saal zu gelangen, um in Ruhe einen geeigneten Platz zu finden.

Sommerblut Kulturfestival in Köln

Das Sommerblut Kulturfestival in Köln engagiert sich ebenfalls für Barrierefreiheit und bietet unter anderem DGS (Deutsche Gebärdensprache), Induktionsschleifen, Audiodeskription, Touch-Touren und Veranstaltungen in Leichter Sprache an, wie auf der Webseite des Festivals detailliert beschrieben wird.

Reeperbahn Festival in Hamburg

Auch das Reeperbahn Festival in Hamburg unternimmt Anstrengungen in Richtung Barrierefreiheit und veröffentlicht umfassende Informationen zur Zugänglichkeit der verschiedenen Veranstaltungsorte (offizielle Webseite des Festivals). Es gibt barrierefreie Anreisemöglichkeiten, Freikarten für Begleitpersonen und ausgewiesene Parkplätze.

Herausforderungen und zukünftige Perspektiven

Trotz aller Fortschritte bestehen weiterhin Herausforderungen. Menschen mit Behinderung sind auf Bühnen und in Musikhochschulen oft unterrepräsentiert. Der Rockmusiker Felix Brückner berichtet von fehlenden Rampen und der Notwendigkeit, getragen zu werden, wie der Deutsche Musikrat festhält. Dies verdeutlicht den dringenden Handlungsbedarf.

Die Verantwortung der Musikhochschulen

Musikhochschulen spielen eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung der nächsten Musikergeneration. Eine inklusive Ausbildung könnte maßgeblich dazu beitragen, dass mehr Musiker mit Behinderung auf Festivals auftreten und die Bühnen diverser werden. Konkret könnten Musikhochschulen aktiv auf Studierende mit Behinderung zugehen, barrierefreie Aufnahmeverfahren entwickeln, Stipendienprogramme für Studierende mit Behinderung einrichten und inklusive Ensembles fördern. Jedoch fehlt es oft an baulicher und digitaler Barrierefreiheit sowie an der Offenheit der Entscheidungsträger, wie BR-KLASSIK in einem Artikel aufzeigt.

Musiker mit Behinderung: Sichtbarkeit auf der Bühne

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Menschen mit Behinderungen nicht nur als Zuschauer, sondern auch als aktive Künstler auf Festivals präsent sind. Denn Musik ist für alle da! Es gibt bereits einige Musiker mit Behinderung, die erfolgreich auf Festivals auftreten. Ihre Erfahrungen zeigen eindrücklich, dass Inklusion auf der Bühne nicht nur möglich ist, sondern eine Bereicherung für alle Beteiligten darstellt.

Forschungsergebnisse zur Barrierefreiheit

Auch die Wissenschaft widmet sich verstärkt dem Thema Barrierefreiheit auf Festivals. Das Buch “Barrierefreie Open-Air-Veranstaltungen” präsentiert Studien, die sich mit der Teilhabe von Menschen mit Sehbehinderung und körperlicher Beeinträchtigung auseinandersetzen (beck-shop.de, kulturmanagement.net). Ein zentrales Ergebnis dieser Studien ist die Erkenntnis, dass die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen berücksichtigt werden müssen, um wirklich barrierefreie Festivals zu konzipieren. Diese Forschungsergebnisse liefern wertvolle Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen für Veranstalter in Deutschland.

Gemeinsam für barrierefreie Festivals: Nächste Schritte

Die Entwicklung barrierefreier Festivals in Deutschland ist ein kontinuierlicher Prozess. Veranstalter, Politik, Forschungseinrichtungen und die Gesellschaft insgesamt müssen zusammenarbeiten, um allen Menschen die gleichberechtigte Teilhabe am Musikleben zu ermöglichen. Initiativen wie “Inklusion muss laut sein” und Festivals wie Summer Breeze, NO LIMITS und Sommerblut zeigen beispielhaft, wie Inklusion erfolgreich umgesetzt werden kann. Sie beweisen, dass Inklusion nicht nur eine Verpflichtung ist, sondern die Musikszene bunter, vielfältiger und bereichernder macht. Zukünftig sollten Festivals Vielfalt als integralen Bestandteil ihrer Identität betrachten und allen Besuchern unvergessliche musikalische Erlebnisse bieten – unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen.